Weihnachtsspecial#11 2019 ☃️

Weihnachtsmärchen 💂

Der standhafte Zinsoldat

Es waren einmal
fünfundzwanzig Zinnsoldaten, die waren alle Brüder, denn sie waren aus
einem alten zinnernen Löffel gemacht worden. Das Gewehr hielten sie im
Arm und das Gesicht geradeaus; rot und blau, überaus herrlich war die
Uniform; das allererste, was sie in dieser Welt hörten, als der Deckel
von der Schachtel genommen wurde, in der sie lagen, war das Wort
„Zinnsoldaten!“ Das rief ein kleiner Knabe und klatschte in die Hände;
er hatte sie erhalten, denn es war sein Geburtstag, und er stellte sie
nun auf dem Tische auf. Der eine Soldat glich dem andern leibhaft, nur
ein einziger war etwas anders; er hatte nur ein Bein, denn er war
zuletzt gegossen worden, und da war nicht mehr Zinn genug da; doch stand
er ebenso fest auf seinem einen Bein wie die andern auf ihren zweien,
und gerade er war es, der sich bemerkbar machte.

Auf dem Tisch, auf dem sie aufgestellt wurden, stand vieles andere
Spielzeug; aber das, was am meisten in die Augen fiel, war ein
niedliches Schloß von Papier; durch die kleinen Fenster konnte man
gerade in die Säle hineinsehen. Draußen vor ihm standen kleine Bäume
rings um einem kleinen Spiegel, der wie ein kleiner See aussehen sollte.
Schwäne von Wachs schwammen darauf und spiegelten sich. Das war alles
niedlich, aber das niedlichste war doch ein kleines Mädchen, das mitten
in der offenen Schloßtür stand; sie war auch aus Papier ausgeschnitten,
aber sie hatte ein schönes Kleid und ein kleines, schmales, blaues Band
über den Schultern, gerade wie ein Schärpe; mitten in diesem saß ein
glänzender Stern, gerade so groß wir ihr Gesicht.

Das kleine Mädchen streckte seine beiden Arme aus, denn es war eine
Tänzerin, und dann hob es das eine Bein so hoch empor, daß der
Zinnsoldat es durchaus nicht finden konnte und glaubte, daß es gerade
wie er nur ein Bein habe.

,Das wäre eine Frau für mich‘, dachte er, aber sie ist etwas vornehm,
sie wohnt in einem Schlosse, ich habe nur eine Schachtel, und da sind
wir fünfundzwanzig darin, das ist kein Ort für sie, doch ich muß suchen,
Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen!‘ Und dann legte er sich, so lang er
war, hinter eine Schnupftabaksdose, die auf dem Tische stand. Da konnte
er recht die kleine, feine Dame betrachten, die fortfuhr auf einem Bein
zu stehen, ohne umzufallen.

Als es Abend wurde, kamen alle die andern Zinnsoldaten in ihre
Schachtel, und die Leute im Hause gingen zu Bette. Nun fing das
Spielzeug an zu spielen, sowohl ,Es kommt Besuch!‘ als auch ,Krieg
führen‘ und ,Ball geben‘; die Zinnsoldaten rasselten in der Schachtel,
denn sie wollten mit dabei sein, aber sie konnten den Deckel nicht
aufheben. Der Nußknacker schoß Purzelbäume, und der Griffel belustigte
sich auf der Tafel; es war ein Lärm, daß der Kanarienvogel davon
erwachte und anfing mitzusprechen, und zwar in Versen. Die beiden
einzigen, die sich nicht von der Stelle bewegten, waren der Zinnsoldat
und die Tänzerin; sie hielt sich gerade auf der Zehenspitze und beide
Arme ausgestreckt; er war ebenso standhaft auf seinem einen Bein; seine
Augen wandte er keinen Augenblick von ihr weg.

Nun schlug die Uhr zwölf, und klatsch, da sprang der Deckel von der
Schnupftabaksdose auf, aber da war kein Tabak darin, nein, sondern ein
kleiner, schwarzer Kobold.

Das war ein Kunststück!

„Zinnsoldat“ sagte der Kobold, „halte deine Augen im Zaum!“ Aber der Zinnsoldat tat, als ob er es nicht hörte.

„Ja, warte nur bis morgen!“ sagte der Kobold.

Als es nun Morgen wurde und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat
in das Fenster gestellt, und war es nun der Kobold oder der Zugwind, auf
einmal flog das Fenster zu, und der Soldat stürzte drei Stockwerke tief
hinunter.

Das war eine erschreckliche Fahrt. Er streckte das Bein gerade in die
Höhe und blieb auf der Helmspitze mit dem Bajonett abwärts zwischen den
Pflastersteinen stecken.

Das Dienstmädchen und der kleine Knabe kamen sogleich hinunter, um zu
suchen; aber obgleich sie nahe daran waren, auf ihn zu treten, so
konnten sie ihn doch nicht erblicken. Hätte der Zinnsoldat gerufen:
„Hier bin ich!“, so hätten sie ihn wohl gefunden, aber er fand es nicht
passend, laut zu schreien, weil er in Uniform war.

Nun fing es an zu regnen; die Tropfen fielen immer dichter, es ward ein
ordentlicher Platzregen; als der zu Ende war, kamen zwei Straßenjungen
vorbei.

„Sieh du!“ sagte der eine, „da liegt ein Zinnsoldat! Der soll hinaus und segeln!“

Sie machten ein Boot aus einer Zeitung, setzten den Soldaten mitten
hinein, und nun segelte er den Rinnstein hinunter; beide Knaben liefen
nebenher und klatschten in die Hände. Was schlugen da für Wellen in dem
Rinnstein, und welcher Strom war da!

Ja, der Regen hatte aber auch geströmt. Das Papierboot schaukelte
auf und nieder, mitunter drehte es sich so geschwind, daß der
Zinnsoldat bebte; aber er blieb standhaft, verzog keine Miene, sah
geradeaus und hielt das Gewehr im Arm.

Mit einem Male trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke; da wurde es gerade so dunkel, als wäre er in seiner Schachtel.

,Wohin mag ich nun kommen?‘ dachte er. Ja, Ja, das ist des Kobolds
Schuld! Ach, säße doch das kleine Mädchen hier im Boote, da könnte es
meinetwegen noch einmal so dunkel sein!‘

Da kam plötzlich eine große Wasserratte, die unter der Rinnsteinbrücke wohnte.

„Hast du einen Paß?“ fragte die Ratte. „Her mit dem Passe!“

Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt das Gewehr noch fester.

Das Boot fuhr davon und die Ratte hinterher. Hu, wie fletschte sie die
Zähne und rief den Holzspänen und dem Stroh zu: „Halt auf! Halt auf! Er
hat keinen Zoll bezahlt; er hat den Paß nicht gezeigt!“

Aber die Strömung wurde stärker und stärker! Der Zinnsoldat konnte schon
da, wo das Brett aufhörte, den hellen Tag erblicken, aber er hörte auch
einen brausenden Ton, der wohl einen tapfern Mann erschrecken konnte.

Denkt nur, der Rinnstein stürzte, wo die Brücke endete, geradehinaus in
einen großen Kanal; das würde für den armen Zinnsoldaten ebenso
gefährlich gewesen sein wie für uns, einen großen Wasserfall
hinunterzufahren!

Nun war er schon so nahe dabei, daß er nicht mehr anhalten konnte. Das
Boot fuhr hinaus, der Zinnsoldat hielt sich so steif, wie er konnte;
niemand sollte ihm nachsagen, daß er mit den Augen blinke. Das Boot
schnurrte drei-, viermal herum und war bis zum Rande mit Wasser gefüllt,
es mußte sinken. Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im Wasser, und
tiefer und tiefer sank das Boot, mehr und mehr löste das Papier sich
auf; nun ging das Wasser über des Soldaten Kopf. Da dachte er an die
kleine, niedliche Tänzerin, die er nie mehr zu Gesicht bekommen sollte,
und es klang vor des Zinnsoldaten Ohren das Lied:

,Fahre, fahre Kriegsmann!

Den Tod mußt du erleiden!‘

Nun ging das Papier entzwei, und der Zinnsoldat stürzte hindurch, wurde aber augenblicklich von einem großen Fisch verschlungen.

Wie war es dunkel da drinnen!

Da war es noch schlimmer als unter der Rinnsteinbrücke, und dann war es
so sehr eng; aber der Zinnsoldat war standhaft und lag, so lang er war,
mit dem Gewehr im Arm.

Der Fisch fuhr umher, er machte die allerschrecklichsten Bewegungen;
endlich wurde er ganz still, es fuhr wie ein Blitzstrahl durch ihn hin.
Das Licht schien ganz klar, und jemand rief laut: „Der Zinnsoldat!“ Der
Fisch war gefangen worden, auf den Markt gebracht, verkauft und in die
Küche hinaufgekommen, wo die Köchin ihn mit einem großen Messer
aufschnitt. Sie nahm mit zwei Fingern den Soldaten mitten um den Leib
und trug ihn in die Stube hinein, wo alle den merkwürdigen Mann sehen
wollten, der im Magen eines Fisches herumgereist war; aber der
Zinnsoldat war gar nicht stolz. Sie stellten ihn auf den Tisch und da –
wie sonderbar kann es doch in der Welt zugehen! Der Zinnsoldat war in
derselben Stube, in der er früher gewesen war, er sah dieselben Kinder,
und das gleiche Spielzeug stand auf dem Tische, das herrliche Schloß mit
der niedlichen, kleinen Tänzerin. Die hielt sich noch auf dem einen
Bein und hatte das andere hoch in der Luft, sie war auch standhaft. Das
rührte den Zinnsoldaten, er war nahe daran, Zinn zu weinen, aber es
schickte sich nicht. Er sah sie an, aber sie sagten gar nichts.

Da nahm der eine der kleinen Knaben den Soldaten und warf ihn gerade in
den Ofen, obwohl er gar keinen Grund dafür hatte; es war sicher der
Kobold in der Dose, der schuld daran war.

Der Zinnsoldat stand ganz beleuchtet da und fühlte eine Hitze, die
erschrecklich war; aber ob sie von dem wirklichen Feuer oder von der
Liebe herrührte, das wußte er nicht. Die Farben waren ganz von ihm
abgegangen – ob das auf der Reise geschehen oder ob der Kummer daran
schuld war, konnte niemand sagen. Er sah das kleine Mädchen an, sie
blickte ihn an, und er fühlte, daß er schmelze, aber noch stand er
standhaft mit dem Gewehre im Arm. Da ging eine Tür auf, der Wind ergriff
die Tänzerin, und sie flog, einer Sylphide gleich, gerade in den Ofen
zum Zinnsoldaten, loderte in Flammen auf und war verschwunden. Da
schmolz der Zinnsoldat zu einem Klumpen, und als das Mädchen am
folgenden Tage die Asche herausnahm, fand sie ihn als ein kleines
Zinnherz; von der Tänzerin hingegen war nur der Stern noch da, und der
war kohlschwarz gebrannt.

(Hans Christian Andersen)

Mfg

Matthias 🎄☃️

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. hanneweb sagt:

    Eine sehr schöne Weihnachtsgeschichte, die ich immer wieder gerne lese.
    Liebe Grüße von Hanne

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    1. Oh ja, das stimmt 👍😊
      Dankeschön und liebe Grüße zurück. 😃

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